Großeltern Kvaček & Pohan


Großmutter Julie Pohan

7 Personen wandern um 1910 nach Wien aus

Der Urgroßvater des Autors, Bartholomäus Pohan, war Alleinverdiener und hatte 6 Kinder (einen Sohn und fünf Töchter). Er war Zimmermann und verunglückte bei einem Berufsunfall. Seine Frau Barbara managte das Problem gemeinsam mit dem Ältesten Jan. Jan übersiedelte mit seiner Frau Franziska nach Wien und erwarb ein Lebensmittelgeschäft in der Kreta. Dieses Geschäft war die Integrationsfläche für seine fünf Schwestern. Im Jahresabstand beschäftigte er sie in seinem Geschäft. Sie hatten die Gelegenheit, Deutsch zu lernen und sich nach einer „guten Partie“ umzuschauen. Die „Beute“: ein Beamter, ein Lebensmittelhändler und zwei Schneider waren ihre Ehepartner. Die Jüngste, die Großmutter Julie hatte einen anderen Plan, sie wollte selbständig sein und heiratete den eher ungehobelten, kommunistisch angehauchten Schlosser Franz.

Kennengelernt hat man sich im tschechischen Wirtshaus „Švagerka“ in der Kopalgasse, ein Vielzweck-Haus für die tschechische Gemeinde in Simmering. Meine Großmutter spielte dort in der Freizeit in einem Laientheater; tschechisch, versteht sich.

Im Gasthaus war in den Vormittagsstunden auch die 4-klassige tschechische Volksschule untergebracht.

Vierklassige Volksschule im Gasthaus Švagerka, Kopalgasse 3, Markiert ist Großonkel Richard

Grillgasse 38

Das Lebensmittelgeschäft der Großmutter war die Existenzgrundlage für meine Eltern und indirekt auch für mich.

Man erzählte, dass in der Zwischenkriegszeit die Kundschaft zu einem großen Teil aus Tschechen bestand, es also nichts ausmachte, wenn meine Mutter etwas geböhmakelt hat. Wenn es um etwas Komplizierteres ging, zum Beispiel um eine Warenlieferung, lud sie den Lieferanten mit einem „Komm‘ in Kíche“ in die Küche ein, weil dort Ihre Mutter weiterhelfen konnte.

Lebensmittelgeschäft der Großmutter in der Grillgasse 38 (1938)

Das Geschäft wurde bis 1927 von meiner Großmutter, bis 1938 unter Mithilfe meines Großvaters, bis 1950 von meiner Mutter, danach unter Mithilfe meines Vaters bis 1956 betrieben.

Lebensmittelgeschäft in den 1950er-Jahren. Das Fassade des Hauses war stark bombenbeschädigt.

Großvater František Kvaček

Nur eines von drei Geschwistern wandert nach Wien
1 Josef 2 Ludmilla 2 František (Bild ca. 1925)

Der ältere Bruder Josef übernahm den kleinen Bauernhof, die Schwester heiratete nach Brünn, der jüngere Bruder František (Großvater) bekam eine Ausbildung als Schlosser in Brünn und wanderte 1911 nach Wien aus. Diese Qualifikation verhalf ihm zu einer Arbeit bei Felten & Guilleaume in Favoriten.

Zeugnis der 1. Klasse der Gewerblichen Schule in der Einhornstraße in Brünn (1901)
Belegschaft bei Felten & Guilleaume (1911)
Arbeitsbestätigung
zwecks Antrag zur Staatsbürgerschaft (1950)
Seilstück als Briefbeschwerer
Erinnerung an die Seilerei bei Felten & Guilleaume

Großvater František Kvaček arbeitete nur 16 Jahre bei Felten, danach arbeitete er im Lebensmittelgeschäft seiner Frau Julie.

Heimatschein
(Nejepín ČSR, 1920)

Der Großvater war im Ersten Weltkrieg an der Ostfront, geriet in russische Gefangenschaft in Omsk. Nach seiner Rückkehr war er weiterhin als Soldat beim tschechischen Militär gemeldet, wie sein Wehrdienstbuch aus dem Jahr 1922 zeigt.

Wehrdienstbuch ČSR (1922)

Der Großvater war fest in der Community der Simmeringer Tschechen verankert. Sowohl beim tschechischen Gesangsverein als auch beim Arbeiter-Turnverein.

Großvater Franz im Gesangsverein „Unter dem Felsen“ (1908)
Großvater František im Arbeiterturnverein (1912)
Großvater im Gesangsverein (1927)

Die Zeit des Anschlusses hatte direkte Auswirkungen auf die Familie der Großeltern.

Großvater Franz war ein hemdsärmeliger, goscherter Wiener Tscheche. Als der Autor erstmals das Theaterstück Der Bockerer sah, meinte seinen eigene Großvater in der Figur des Bockerer wiederzuerkennen.

Großvater Franz im Arbeitsmantel vor seinem Geschäft.

Die Kriegsjahre beeinflussten das Leben der Familie. Dass sie Tschechen waren, brachte viele Nachteile für sie.

Großvater Franz machte von seiner Meinung über „den Herrn Hitler“ kein Geheimnis, und das hatte Folgen. Die Familie wurde zur NSDAP-Ortgruppe Döblerhof in der Rinnböckstraße vorgeladen und verhört. Die Großmutter war so verängstigt, dass sie beschloss, den Großvater „auf’s Land“ zu verfrachten, wo der Zugriff der Obrigkeit nicht ein so direkter war wie in der Stadt. Großvater Franz verbrachte die Kriegsjahre in der einfachen Hütte unseres Gartens in Kritzendorf (kein Wasser, kein Strom, kein Abwasser, stattdessen Petroleumlampen, selbst gegrabene Brunnen und Senkgrube).

Die politische Haltung des Großvaters war in der Umgebung bekannt, auch schon vor dem Anschluss. Die Großeltern bekamen eine Räumungsklage übermittelt. Sie mussten ihre Wohnung für ein Mitglied der NSDAP räumen.

Gleichzeitig musste die Familie des ehemaligen Schuldirektors der tschechischen Schule in der Brehmstraße seine Wohnung aufgeben, und in diese nunmehr leere Wohnung mussten die Großeltern übersiedeln.

Nach dem Krieg konnte mein Großvater wieder aus seinem „Exil“ zurückkehren. Nach einem dreijährigen Gerichtsverfahren wurde den Großeltern 1948 ihre frühere Wohnung wieder zugesprochen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte sich die Frage nach der Staatszugehörigkeit und der Pension. Vater Josef war den Schwiegereltern bei der Erstellung der Anträge behilflich. 1950 wurde Großvater František österreichischer Staatsbürger.

Staatsbürgerschaftsnachweis (1950)

Beide Großeltern, Julie und Franz, sprachen nur gebrochenes Deutsch und bewegten sich ausschließlich in tschechischer Gesellschaft.

František Kvaček (Großvater), Martha Kvaček (Mutter), Julie Kvaček (Großmutter), 1933