Echte Wiener


Was ein „Echter Wiener“ ist, wurde wurden in verschiedenen Epochen durchaus verschieden interpretiert.

1850

Wiener war jemand, der hier lebte. Seine Umgangssprache war beliebig und kein Kriterium für Diskriminierung. Kaiser Josef II. sorgt dafür, dass die Tschechen auch in tschechischer Sprache informiert werden.

1900

In der Luegerzeit galt als „Echter Wiener“ jemand, der keine tschechischen Vorfahren hatte; Tschechen waren damals wegen ihrer als bedrohlich empfundenen Zahl ein Feindbild.

1950

Assimilation der der folgenden Jahrzehnte – insbesondere durch Eheschließungen – bewirkte, dass ein großer Teil der Wiener auf tschechische Vorfahren zurückblicken konnte. Eine tschechische Großmutter wurde zu einer Zierde im Stammbaum des „Echten Wieners“. 1953 wurde dieses nostalgische Lebensgefühl in Wie Böhmen noch bei Österreich war vertont und von Heinz Conrads, Peter Alexander u.a. interpretiert.

1970

Böhmakelnde Protagonisten gehörten schon zur aussterbenden Spezies, aber ihre Kinder und Enkel leben noch unter uns. Ernst Hinterberger definierte den „Echten Wiener“ in den 1970er- Jahren neu und entlehnte den Slogan Ein echter Wiener geht nicht unter dem Couplet Krügerl vor’m G’sicht. Er hat nicht vergessen, das tschechische Element des Wieners durch entsprechende Namensgebung der handelnden Personen einzubauen. Beim Mundl sind es die Familien Vejvoda (Herzog) und Blahovec (Einfaltspinsel).

1980

Die Serie Kottan ermittelt enthält als Running Gag den Landstriecher Erwin Drballa, der sich immer am Fundort der Leichen einfindet. Frau Komarek (Komárek = kleine Gelse) ist die Besitzerin eines Kleingartens und Herr Horrak (Horák=Berger) der Ganovenchef, Pribyl (Pribyl= überbleiben~) ist ein Bankangestellter.

1990

Mit dem späteren Kaisermühlen Blues (1992) ist es ganz ähnlich. Die Protagonisten sind Wiener, aber Wiener deren Namen oft tschechischem Einschlag haben. Gitti Schimek (Šimek), Leopoldine Turecek (Tureček), Eberhart Kudrnac (Kudrna), Hermann Vysloczil (Vysločil). Dass gerade der FPÖ-Politiker einen nicht gerade arischen Namen trägt, ist einerseits künstlerische Freiheit, kommt aber im rechten Alltag durchaus vor (siehe Marlene Svazek (Svazek), Hans Jörg Schimanek (Šimánek), Klaus Turek (Turek) u.a.)

Heute

Bei den schon zu Routine gewordenen Spitalsaufenthalte erlebte der Autor viel Pflegepersonal, das aus dem Süden von Tschechien oder aus dem Raum Bratislava nach Wien pendelt. Eine slowakische Juristin erzählte, dass sie als Pflegefachkraft in Wien mehr als in ihrem angestammten Beruf in der Slowakei verdient.

Die Grenzgebiete zu Tschechien, zur Slowakei und zu Ungarn sind im Verkauf und in der Gastronomie fest in der Hand der Nachbarn. Das Bahnhofsrestaurant „zur Schiene“ in Marchegg wird – wie viele andere – von einer tschechischen Familie bewirtschaftet.

Nach all den Wanderungen in beide Richtungen hat sich die Gemeinde der „Wiener Tschechen“ bei etwa 17.000 stabilisiert. Diese Wiener pflegen „Tschechisch“ als Umgangssprache. Die „Ultras“ in dieser tschechischen Community sind in Vereinen organisiert, nach Weltanschauung oder Freizeitaktivität.

Die Migration der Tschechen nach Wien ist längst verarbeitet, und das Tschechische ist zu einem unverwechselbaren Element in Wien geworden. Die Pracht unserer Stadt beruht auf der Arbeit vieler Migranten-Generationen, die Victor Adler als die „Sklaven vom Wienerberg“ beschrieben hat.

Durch die Vermischung des tschechischen Elements in unseren Ahnenreihen ist in den allermeisten Wienern ein bisschen des Tschechischen vorhanden; etwas von der Lebensart, die durch slawische Gemütlichkeit erträglicher werdende deutsche Gründlichkeit, etwas von dem Vokabular, das westlich von Purkersdorf nicht mehr gesprochen und oft auch nicht verstanden wird und die für Wien typischen eingedeutschten Namen tschechischen Ursprungs, die an längst vergangene Zeiten erinnern.