Stadtrundgang


Vor unserem Stadtrundgang zu Orten des Tschechischen Wien wollen wir uns daran erinnern, dass all diese Prachtbauten, die heute von Legionen zahlungskräftigen Touristen bestaunt werden, seinerzeit von Legionen böhmischer Bau- und Ziegelarbeiter geschaffen wurden.

Wien, Stadtzentrum

Franz Jonas

Die vom Volksmund nach ihm benannte „Jonas-Grotte“ (Opernpassage) und das Jonas-Reindl (Schottentor) erinnern an den Bürgermeister und späteren Bundespräsidenten Franz Jonas (tschechische Schreibweise: František Jonáš). Er besuchte noch in der Monarchie eine tschechische Schule in Floridsdorf. Die Mittelschule in Jedlesee wurde nach ihm als „Franz-Jonas-Europaschule“ benannt. Franz Jonas ist jener Wiener Tscheche, der es bis zum aller höchsten Amt im Staat geschafft hat.

Die Künstler

Wir gehen zum Holocaust-Denkmal des Alfred Hrdlicka.

Hrdlicka („Turteltaube“) dürfte trotz des Ur-tschechischen Familiennamens sich selbst nicht zu den Wiener Tschechen gezählt haben. Er hat das Hatschek vom c in seinem Namen – im Gegensatz zu seinen Brüdern – gelöscht. Das hat aber die Rundfunksprecher nicht daran gehindert, ihn stets als Hrdlitschka (und nicht Hrdlitska) anzusprechen. So leicht wird man den „Böhm“ in Wien nicht los.

Hrdlicka war Schüler des berühmten tschechisch-stämmigen Bildhauers, Fritz Wotruba. Wotruba war Sohn eines Wiener Tschechen und einer Wiener Ungarin. Die tschechische Schreibeweise „Votruba“ dürfte die Familie schon früh durch die deutsche Form „Wotruba“ ersetzt haben.

Tschechische Palais

Gegenüber dieser Gedächtnisstätte sehen wir das alte Palais Lobkowitz.

Palais Lobkowitz
gegenüber von der Albertina,
heute Österreichisches Theatermuseum

Der Hauptsitz der Lobkowitz liegt eigentlich auf der Prager Kleinseite, doch durch die Verlagerung des Kaisersitzes der Habsburger nach Wien, siedelte sich der tschechische Hochadel inklusive Gefolge in Wien an. Dazu zählten die Kinsky, Kaunitz, Colloredo, Windisch-Graetz, Harrach, Schwarzenberg uvam.

Eine bebilderte interaktive Karte zeigt alle ursprünglich tschechischen Palais in Wien.

Tscheche oder Deutscher?

Den Autor verbindet mit diesem Palais Lobkowitz eine Erzählung über die Herkunft seiner Familie.

Bis 1938 waren hier die tschechoslowakische Gesandtschaft und einige tschechische Betriebe untergebracht.

Die Großeltern väterlicherseits waren sehr arme Wiener Tschechen (Schuster und Hausgehilfin, der Großvater arbeitete und schlief am Dachboden, weil man sein Bett einem Bettgeher vermietet hat). Mein Vater Josef orientierte sich an seinem um ein Jahr älteren Freund Gustav, dessen Eltern im Palais Lobkowitz eine Molkerei betrieben haben.

Der Hunger in diesen 1930er Jahren war so groß, dass mein Vater allabendlich die leeren Alu-Milchkannen in die Höhe stemmte, um die Milchreste am Boden auszutrinken.

1938 hatte alles das ein Ende. Alle Tschechischen Betriebe, Vereine und Schulen wurden verboten. Die Wiener Tschechen wurden gefragt, ob sie sich als Deutsche oder Tschechen bekennen. Die Familie von Gustl bekannte sich zu den Tschechen. Gustl bekam einen Job bei der Tschechischen Gewerbebank in Bratislava angeboten, die Familie wanderte aus. Meine Großeltern dagegen hielten viel von den Versprechungen auf bessere Zeiten und bekannten sich zum Deutschtum (obwohl die Fiala-Großeltern kaum Deutsch sprachen). Die Folge: die Söhne mussten einrücken, allein der Vater kehrte 1945 zurück.

Der Bauernbefreier Hans Kudlich

Hier, in der Herrengasse, hinter dem Michaelerplatz, wurde der junge Philosophie- und Jusstudent Hans Kudlich während der Unruhen im März 1938 durch einen Bajonettstich verwundet.

Kudlichs Eltern waren robotpflichtige und leibeigene Bauern aus dem kleinen Ort Úvalno in Mähren. Sie ließen ihren Sohn studieren. Und dieser sah es als seine Aufgabe an, die Situation seiner Eltern und mit ihnen aller anderen betroffenen Bauern zu verbessern. Tatsächlich wurde er im Juli 1848 nach ausgeheilter Verwundung in den Reichsrat gewählt.

In diesen Tagen wurden viele Gesetze verabschiedet und eben auch Kudlichs Grundentlastungspatent am 7.September 1848. Während aber alle anderen Bürgerrechte wie Presse- und Versammlungsfreiheit vom jungen absolutistischen Monarchen Franz Josef I., widerrufen wurden, wurde das Patent zur Bauernbefreiung im März 1949 zum Gesetz.

Kudlich war in der Folge der Verfolgung durch die Behörden ausgesetzt und emigrierte in die USA. Doch sein Gesetz trat eine Lawine los. Die nunmehr befreiten Bauern versuchten ihr Glück in den großen Städten, allen voran natürlich in Wien. Aber sie kamen vom Regen in die Traufe, weil sie ihre Arbeitskraft auf einem ungeregelten Markt anbieten mussten, und es hat mehrere Jahrzehnte gedauert, bis sie sich – angeführt durch Viktor Adler, Engelbert Pernerstorfer und Jakob Reumann – grundlegende Rechte erkämpfen konnten.

In der Herrengasse findet man auch das Tschechische Zentrum. Allerdings ist das keine Institution der Wiener Tschechen, sondern wird von der Tschechischen Republik als Fremdenverkehrsbüro benutzt.

Der älteste Böhme

Weiter geht’s zur ältesten Spur eines Böhmen in Wien, zur Minoritenkirche. Die Kirche wurde 1275 von Ottokar II. Přemysl gegründet. Ganze 30 Wochen war dort 1278 sein Leichnam nach der Schlacht auf dem Marchfeld aufgebahrt.

Zwar wurde Ottokar 1296 nach Prag überführt, sein Herz blieb aber in Wien bestattet.

Nicht einmal 30 Jahre währte die Regentschaft von Ottokar Premysl über Ostösterreich. Aber in seinem Gefolge ließen sich die ersten Böhmen hier nieder. Die Städte Marchegg, Bruck an der Mur, Leoben und Radkersburg sind Gründungen, die auf seine Regentschaft zurückgehen.

Das religiöse Zentrum

Wir gehen durch den Tiefen Graben zur gotischen Kirche Maria am Gestade. Die Anlage der Kirche auf der Anhöhe zeigt, wie früher die Stadtmauer verlaufen ist.

Die Kirche ist das Gotteshaus der Tschechen und Slowaken in Wien. Verwaltet wird die Kirche vom Redemptoristenorden.

Stadtpatron von Wien

Verehrt wird in dieser Kirche der Mährer Klemens Maria Hofbauer.

Sein Vater war Fleischhauer in Südmähren und änderte seinen Namen von „Dvořák“ auf „Hofbauer“, etwas, das die weitere Karriere seines Sohnes bedeutend beeinflusst haben dürfte. Der Taufname seines Sohnes war Johannes, doch mit Zustimmung des späteren Papstes Pius VII nahm er den Namen Clemens Maria an.

Die Zeit des Josephinismus war eine schwere Zeit für die Kirche, und sein Redemptoristen-Orden wurde aufgelöst, und es sollte bis 1820 dauern, bis die Redemptoristen durch Kaiser Franz I., wieder zugelassen wurden. Bereits zu Lebzeiten wurde Clemens Maria Hofbauer als „Apostel von Wien“ tituliert.

Dass die Redemptoristen die Kirche Maria am Gestade übertragen bekamen, hat Clemens Maria nicht mehr erlebt.

Sein Wirken war aber den Menschen so nahhaltig in Erinnerung, dass er bereits 1888 selig und 1909 von Papst Pius X., heiliggesprochen wurde.

Bis 1919 gehörte Wien zu Niederösterreich und der Landespatron war hier wie dort der Heilige Leopold. Doch mit der Trennung der beiden Bundesländer war ein Stadtpatron gefragt und diese Stelle nimmt seither der Tscheche Clemens Maria Hofbauer ein.

Böhmische Hofkanzlei

Der böhmisch/mährische Adel legte großen Wert darauf, dass alle Angelegenheiten, die böhmischen Länder betreffend in einem eigenen Amt behandelt werden sollten. Das war die Böhmische Hofkanzlei. Dem stand die geheime Haus-, Hof- und Staatskanzlei gegenüber.

Das Kulturzentrum

Wenn wir durch das Judenviertel zum Fleischmarkt gehen, erkennen wir am Laurenzerberg das Hotel Post. Bis 1938 hieß das Gebäude „Český dům, Tschechisches Haus“. Das Hotel war immer schon das kulturelle Zentrum der Wiener Tschechen. In der kleinen Sackgasse Drachengasse ist der Standort vieler tschechischer Vereine und auch Veranstaltungsort für Kleinbühnen. Als Kind besuchte der Autor dort die Vorstellungen der tschechischen Puppenbühne.

Kabarett

Einige Schritte weiter erinnern uns legendäre Kabarettisten des Kabarett Simpl an die Berührungspunkte des Deutschen mit dem Tschechischen und dessen Verbindung im Wienerischen.

Maxi Böhm,
1916-1982
Heinz Conrads,
1913-1986
Peter Alexander,
1926-2011

Der Parade-Tscheche in Wien war wohl Maxi Böhm, der das Publikum allein schon durch den Running Gag „Bei uns in Reichenberg…“ zum Lachen brachte. Trotz der Tragik des Vertrieben-Werdens den Humor nicht zu verlieren, das zeichnete den großen Komiker aus.

Heinz Conrads war ebenfalls Ensemblemitglied des Simpl, allerdings fand er später seine Paraderolle beim Radio und Fernsehen. Sein Geburtsname „Hansal“ ist tschechischen Ursprungs. Wie kein anderer seiner Zunft, verkaufte er diese Wiener Mischkulanz böhmischer Lebensart, dass man sich in den 1950er Jahren kaum mehr vorstellen konnte, dass es zwischen diesen Volksgruppen in der Monarchie ganz anders zur Sache gegangen ist.

Peter Alexander war nur während einer Saison Ensemblemitglied des Simpl. Man erzählt, dass er für Karl Farkas zu wenig Gesangstalent gehabt hätte. Man könnte aber das Gegenteil vermuten, dass nämlich Karl Farkas mögliche Konkurrenten nicht aufkommen lassen wollte. Ähnliches ist auch über sein Verhältnis zu Hugo Wiener bekannt. Peter Alexander war neben Heinz Conrads der populärste Interpret böhmischer Lieder und auch Darsteller des „Braven Soldaten Schwejk.

Einen „tschechischen“ Abschluss unseres Rundgangs können wir durch einen Besuch der Aïda-Filiale in der Wollzeile. Bereits seit 1917 betrieben die Tschechen Josef und Rosa Prousek eine erste Konditorei im 9. Bezirk. Aida Aida (Geschichte)