Böhmischer Prater


Der Böhmische Prater entstand in den 1880er Jahren als Vergnügungsviertel außerhalb der Stadt.

Es ist nicht bekannt, wann genau der Name „Böhmischer Prater“ erstmals genannt wurde. In dem Zeitungsartikel von 1887 wird er jedenfalls „kleiner Prater“ genannt. Auch in der Familie des Autors sprach man eher von Malý Prátr als von Český Prátr.

Während andere Erholungsgebiete wie der Prater, der Augarten und der Lainzer Tiergarten sich von vormals herrschaftlichem Besitz ableiten, fehlen solche Vorläufer im Böhmischen Prater. Dieses Gebiet entstand aus Bedürfnissen der rasch wachsenden Bevölkerung, des Militärs und der Arbeiterschaft im 19. Jahrhundert.

Anfänge

Die Kantine im Ziegelwerk Laaer Wald hatte wegen ihrer Nähe zur Stadt die Möglichkeit, auch externe Kunden anzusprechen – und tat es auch. So entstand 1882 das erste Gasthaus für das Publikum im Laaer Wald mit Sonntagsbetrieb. Erweitert wurde das Freizeitangebot durch einen Tanzsaal.

1882 Erste Konzessionen für Sonntagsbetrieb von Franz Bauer und Anton Svoboda (Slapansky, 1992, S. 70).

Nachdem sich dann schon mehrere Gaststuben im Waldgebiet etabliert hatten, wurde es für die zuständige Gemeinde Oberlaa zunehmend schwierig, dieses zu überwachen. Die Gemeinde drückte aber ein Auge zu, denn jeder Gastwirt spendete jährlich 100 Gulden in den Armenfonds der Gemeinde. Die Pacht betrug 150 Gulden und war an den Grundstückseigner die Wienerberger Ziegelfabriks- und Baugesellschaft zu entrichten. (Slapansky, 1992, S. 68)

1884 gab es schon 20 Gasthausbetriebe.

Einzugsgebiet des Böhmischen Praters
weiß: Militär, rot: Bezirke, blau: Industriebetriebe, braun: Ziegelarbeiter (ab 1895)

Dass der Böhmische Prater gerade an dieser Stelle entstand, ist kein Zufall. Die treibenden Kräfte waren:

  • Lage außerhalb der Stadt (Vermeidung der Verzehrsteuer, Verbot von Tanzveranstaltungen in der Stadt),
  • Nahe gelegene Kundeschichten:
    • Soldaten aus dem Arsenal
    • Arbeiter aus Favoriten und Simmering
    • Ziegelarbeiter der benachbarten Ziegeleien
  • arbeitsfreier Sonntag und geregelte Arbeitszeiten ab 1895,
  • Germanisierungsdruck seitens des Bürgermeisters 1895-1910
  • Förderung der tschechischen Minderheit im Roten Wien

Industriebetriebe

Der Laaerwald hatte eine gastronomisch interessante Lage. Er war einerseits sowohl von Simmering als auch von Favoriten gut erreichbar. Gleichzeitig aber auch für die Soldaten des Arsenals. Dazu kam die Nähe zweier großer Ziegeleien am Laaerwald und jener am Laaerberg sowie der Ankerbrotfabrik, der Waggonfabrik und von Felten Guilleaume. Alle diese Betriebe lagen in kurzer Distanz zum Laaer Wald. Der Laaer Wald war praktisch das Zentrum jener Gesellschaftsschichten, die Abwechslung suchten.

Man war unter sich

In Favoriten und Simmering wohnten sehr viele Tschechen und die Ziegeleiarbeiter waren praktisch ausnahmslos Tschechen.

Eine Zusammenkunft der Tschechen in Gasthäusern war nicht unproblematisch. Ein Gastwirt konnte es sich nicht leisten, einem tschechischen Verein sein Extrazimmer zu vermieten, wenn er nicht gleichzeitig seine deutsche Kundschaft verlieren wollte. Also gab es Wirtshäuser, die sich ausschließlich auf tschechische Kundschaft spezialisiert haben wie eben der Böhmische Prater oder das Gasthaus Švagerka in der Kopalgasse in Simmering.

Die Zuwanderer aus den Kronländern – die meisten kamen aus Böhmen und Mähren – hatten keinen leichten Stand. Ausgrenzung stand vor Integration. Der Böhmische Prater war ein Refugium, in dem die Migranten vor Ausgrenzung verschont blieben. Man war unter sich.

Fünf-Kreuzer-Tänze

Der beliebteste Zeitvertreib in den wenigen arbeitsfreien Zeiten waren sogenannte Fünf-Kreuzer-Tänze. Die Herren zahlten fünf Kreuzer, die Damen tanzten gratis. Zum Vergleich: eine Semmel kostete damals 10 Kreuzer.

Tanzveranstaltung im Prater

Fünf, manchmal auch Drei-Kreuzer-Tänze nannte man Tanzveranstaltungen, die überall in der Stadt und vor allem am Stadtrand veranstaltet wurden.

Fünf-Kreuzer-Tanz

Die Wiener Stadtregierung verbot 1886 die Fünfkreuzertänze im Stadtgebiet, was die Kunden logischerweise in die Lokale außerhalb der Stadt trieb, allen voran in den Böhmischen Prater, der in den Zuständigkeitsbereich der Bezirkshauptmannschaft von Bruck an der Leitha fiel. Diese Unterhaltungsform des Fünfkreuzertanzes war ein wichtiges Standbein der ersten Schausteller im Böhmischen Prater.

„Seinen raschen Aufschwung verdankte er vor allem dem 1886 in Wien erlassenen Verbot öffentlicher Tanzunterhaltungen. Da der »Böhmische Prater« aufgrund seiner Randlage in den Zuständigkeitsbereich von Bruck/Leitha fiel, war er von der restriktiven Maßnahme nicht betroffen.“ (Wonisch, 2010, S. 224)

Wegen des riesigen Einzugsgebiets gesellten sich ab 1886 rasch weitere Gasthäuser und Tanzlokale zu der Kantine des Ziegelwerks, ein großer Vergnügungspark entstand. Die Ansiedlung beschränkte sich keineswegs nur auf die damalige Grenzgasse, die den 10. vom 11. Bezirk trennte und die heute Laaer Wald genannt wird, sondern die Kantinen und Gaststuben waren auf das ganze Waldgebiet verteilt.

Ziegelarbeiter

Immer noch waren aber die Ziegelarbeiter keine zahlenden Kunden und ihre Lebensumstände verschlechterten sich fortwährend.

Gearbeitet wurde vom Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, im Winter also etwas weniger als 12 Stunden, im Sommer auch mehr. Einen arbeitsfreien Tag gab es nicht, und wegen des Truck-Systems waren die Ziegelarbeiter anfangs auch keine guten Kantinen-Kunden für das Wochenende.

Viktor Adler veröffentlichte im Dezember 1888 seinen Bericht über die schrecklichen Zustände in den Ziegelwerken südlich von Wien. Dieser Bericht war zwar ausschlaggebend für die Gründung der Sozialistischen Partei änderte aber immer noch nichts an den Lebensumständen der Ziegelarbeiter. In der Arbeiterschaft musste sich erst so etwas wie ein Klassenbewusstsein und Bereitschaft zur Solidarität ausbilden.

1. Mai 1895

Es dauerte bis April 1895, als es zu einem Streik in allen Ziegelwerken kam. Die Arbeiter wurden von Viktor Adler und Jakob Reumann unterstützt.

Es ist bekannt, dass die Vösendorfer Ziegelarbeiter am 1. Mai 1895 mit Geleitschutz berittener Polizei zum Laaerwald marschierten, um von dort am Maiaufmarsch teilzunehmen.

Die Inzersdorfer waren um 2 Uhr von Inzersdorf aus marschiert, rechts und links von Gendarmerie begleitet. Die Musikkapelle, die sie mitgenommen hatten, durfte in Folge Anord­nung des Kommissärs nicht spielen, wahr­scheinlich weil der vorsichtige Kommissär fürchtete, dass sonst ein ähnliches Unglück passieren könnte wie seinerzeit mit den Mauern von Jericho. An der Grenze von Wien wurde die Gendarmerie von Polizei abgelöst, die auch das Tragen einer Standarte verbot und dieselbe schließlich in der Simmeringer-straße mit Beschlag belegte. Erst in der Nähe des Laaerberges bei den Ziegelwerken konnte die Musik zu spielen beginnen, allerdings auch da bald vom Kommissär unterbrochen. (Slapansky, 1992, S. 79)

Diese Genossen begaben sich fast alle in Bartonicek’ s Gasthaus, wo im Garten und im Saal für sie Platz gemacht wurde.

Und erst ab diesem ersten Ersten Mai im Jahr 1895 wurden die Ziegelarbeiter zu Kunden im Böhmischen Prater. Ein Bild von Ziegelarbeitern mit Viktor Adler im Böhmischen Prater erinnert an diesen historischen Tag.

Victor Adler im Kreise der Ziegelböhm im Laaer Wald

1897 berichtete die Arbeiter-Zeitung: Am Laaer Berg, im sogenannten Böhmischen Prater, wo die Ziegelarbeiter des Wienerberges und der benachbarten Werke zusammenkamen, ging’s nachmittags lustig zu. Feierten doch die Ziegelarbeiter nicht nur das Weltfest des Proletariats, sondern auch den Sieg, den sie ohne Streik, nur durch die Macht ihrer Organisation errungen hatten. (. .. } Schon vor 2 Uhr kamen die ersten Züge von den kleineren Werken auf dem Laaer Berg an, und bald hatte der Laaer Berg ein festliches Aussehen. Gruppenweise begaben sich die Genossen in die einzelnen Gasthäuser, wo sie sich bald einer gemütlichen Unterhaltung hingaben.“ (Pufler, 1999, S. 57)

Kleiner Prater

Das Extrablatt berichtet am 18. Juni 1897 auf der Titelseite „Der kleine Prater in Favoriten“.

18. Juni 1887 Das „Wiener Illustriertes Extrablatt“ berichtet auf der Titelseite: „Der kleine Prater in Favoriten“

Erster Weltkrieg

Der Geschäftseinbruch im Böhmischen Prater in der Zeit des Ersten Weltkriegs war enorm und konnte sich erst in den 1920er-Jahren erholen. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ist die Heimkehrer-Siedlung an der Bitterlichstraße entstanden. Dort befanden sich vorher Weingärten des Stifts Klosterneuburg. Ebenso war die Gründung von Schrebergärten ein wichtiger Faktor bei der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln.

Zwischenkriegszeit

Für den Böhmischen Prater war diese Zeit bis 1938 eine Hochblüte und übertraf sogar den Boom zu den Zeiten nach dem Ziegelarbeiterstreik.

Am Geschäftsgang der Schausteller im Böhmischen Prater änderte das nichts, die Ziegelarbeiter waren weiterhin ein wichtiger Teil ihrer Kundschaft.

Zweiter Weltkrieg

Der zweite große Krieg änderte alles. Die tschechische Sprache, tschechische Betriebe, Banken, Vereine und Schulen wurden unmittelbar nach dem Anschluss verboten.

Der Böhmische Prater wurden durch Bombenangriffe zerstört. Nicht, dass der Prater selbst ein Angriffsziel gewesen wäre, aber er lag im Bereich der Bahnlinien und der Industriebetriebe und bekam seine Treffer eher zufällig ab.

Nachkriegszeit

Die Zahl der Tschechen und damit die typische Klientel für den Böhmischen Prater sank stark. Es gab dafür folgende Gründe:

  • Auswanderung vieler Wiener Tschechen in die menschenleeren Sudetengebiete
  • Überalterung und starke Assimilation
  • Kein weiterer Zuzug wegen des Eisernen Vorhangs
  • Die tschechische Sprache wurde durch das strikte Schulverbot während der Kriegsjahre zurückgedrängt

Aber der Krieg hatte nicht allein Schuld am Niedergang des „kleinen Vergnügens an der Peripherie“, wie es im Untertitel des Buchs von Wolfgang Slapansky heißt. Die Bautätigkeit der Gemeinde nahm ab, nachdem die Zerstörungen durch den Krieg beseitigt worden sind, Ziegelbauweise wurde mehr und mehr durch Betonbauweise ersetzt. Die Ziegelwerke verschwanden und damit die wichtige Kundenschicht der Ziegelarbeiter.

Das Arsenal ist bedeutungslos geworden, es gab auch von dort keine Kundschaft, und die früheren Motive, sich außerhalb der Stadt zu vergnügen, waren auch weg, denn der Böhmische Prater gehörte seit 1938 zu Wien.

Die Wiederaufbaugeneration hatte nicht viel Freizeit.

Das Gebiet rund um den Böhmischen Prater wurde zu einer Gstettn, es wurde wegen seiner Verwahrlosung nicht als Naherholungsgebiet empfunden, mehr noch, man nutzte die verwaisten Lehmgruben der Löwy-Grube als Mülldeponie.

Das Lied Zwischen Simmering und Favoriten (Charlotte Ludwig) von Maria von Schmedes erinnert daran, dass viele früheren Ziegelteiche mit dem Abfall der Wiener Bevölkerung zugeschüttet wurden.

Wie es heute um diese Gegend bestellt ist, erfährt man im Abschnitt Böhmischer Prater – heute.

Literatur