Sozialdemokratie


Sozialdemokratie entwickelte sich in allen Ländern als Gegengewicht zu dem allgegenwärtigen ungeregelten Turbo-Kapitalismus.

In Österreich spielten bei diesem Prozess die Wiener Tschechen eine vielfache Rolle.

  • Die Bevölkerung in Wien hatte einen hohen tschechischen Anteil von mehreren Hunderttausend Personen, die sich auf bestimmte Bezirke konzentrierte. Etwa hatte der 10. Bezirk einen großen tschechischen Anteil. Man nannte den Bezirk auch Šesták-Bezirk.
  • Die Arbeiterschaft der Ziegelarbeiter rekrutierte sich überwiegend aus Tschechen und Mährern. Man nannte sie Ziegelböhm.
  • Die schlechten Arbeitsbedingungen der Ziegelböhm waren 1888 der Auslöser für die Einigung der sozialistischen Gruppierungen als SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei)
  • Die Selbstorganisation der Ziegelarbeiter führte 1895 zu einem Generalstreik und zu einem ersten großen Erfolg der SDAP
  • Die Tschechen wählten mehrheitlich sozialistisch. Wenn also Victor Adler zum ersten Abgeordneten für Favoriten im Niederösterreichischen Landtag gewählt wurde, dann waren daran Tschechen maßgeblich beteiligt.

Victor Adler

Der Sozialdemokrat der ersten Stunde, Victor Adler, stammte aus Prag. Er wurde 17-mal gerichtlich verurteilt und war 18 Monate in Gefängnissen.

Victor Adler wohnte ab 1883 an einer Adresse, die später weltberühmt werden sollte, in der Berggasse 19. Allerdings wohnte er dort nicht gemeinsam mit Sigmund Freud, denn das Haus wurde 1891 abgerissen und Sigmund Freud zog danach in ein neu errichtetes Haus ein.

Victor Adler arbeitete an dieser Adresse als Arzt, und er behandelte auch mittelose Menschen. Dabei ist ihm der besonders schlechte Gesundheitszustand dieser Patienten aufgefallen. Diesem Zufall ist es zu verdanken, dass die Zustände in den Ghettos im Süden Wiens bekannt wurden.

Die Ziegelwerke waren von der Außenwelt abgeschlossene Welten. Weder durften die Arbeiter außerhalb des Werks wohnen oder einkaufen, noch durften Betriebsfremde die Werksanlagen betreten. Es ist also weiter nicht verwunderlich, wenn über die Verhältnisse in den Werken nichts bekannt war.

Um sich einen Überblick zu verschaffen, nutzte Victor Adler die Bekanntschaft zur Familie Baron / Pölzer. Der Großvater von Amalie Pölzer war Ziegelarbeiter in Inzersdorf und schleuste 1888 Victor Adler – getarnt als Maurer – in das Ziegelwerk ein und ermöglichte ihm den Bericht am 1. Dezember 1888 mit dem berühmten Satz „…diese armen Ziegelarbeiter sind die ärmsten Sklaven, welche die Sonne bescheint in der „Gleichheit“.

Die Lage der Ziegelarbeiter (aus Die Gleichheit 1.12.1888) (PDF)

Er schaffte damit einen Monat später, am 30.12.1888, im Hainfelder Einigungsparteitag den Zusammenschluss der verschiedenen ideologischen Gruppen der Sozis in der SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei, ab 1945 SPÖ). Die Ziegelböhm spielten die Rolle eines Anschauungsobjekts für dringend notwenige arbeitsrechtliche Regelungen.

Die Lage der Ziegelarbeiter (Victor Adler, 1.12.1888, Gleichheit)

Im Dezember 1888 hatte sich Victor Adler in die Ziegelwerke der Wienerberger Gesellschaft eingeschlichen. Was er dort sah und erfuhr, war der Anlass zu seinen Anklagen in der Zeitung die „Gleichheit“, am 1. Dezember 1888.

Originaltext

Die Wienerberger Ziegelfabrik- und Baugesellschaft zahlt ihren Aktionären recht fette Dividenden. Ihre Aktien, die mit 120 Gulden eingezahlt sind, haben im letzten Jahre nicht weniger als 14 Gulden, das sind 11,7 Prozent, getragen. Bei 35 000 Aktien macht das die hübsche Summe von 490 000 Gulden, welche da ins Verdienen gebracht wurde. Der Reingewinn kommt bekanntlich durch das „harmonische Zusammenwirken von Kapital und Arbeit“ zustande. Die Tätigkeit des Kapitals haben wir geschildert, es hat sich die Mühe genommen, die Cpupons abzuschneiden und für diese schwere Arbeit je 14 Gulden einzukassieren. So ist das Kapital doch „“Entbehrungslohn“; gewiss, das Kapital bildet sich aus jenem Lohn, welchen die Arbeiter entbehren! Hören wir nun, wie der andere Teil, wie die Arbeiter dieser reichen glänzenden Aktiengesellschaft leben. Nun denn, diese armen Ziegelarbeiter sind die ärmsten Sklaven, welche die Sonne bescheint. Die blutige Ausbeutung dieser elendsten aller Proletarier wird durch das verbrecherische, vom Gesetz ausdrücklich verbotene Trucksystem, die Blechwirtschaft, in unbedingte Abhängigkeit verwandelt. Der Hunger und das Elend, zu dem sie verdammt sind, wird noch entsetzlicher durch die Wohnungen, in welche sie von der Fabrik oder ihren Beamten zwangsweise eingepfercht werden. Von den Verhältnissen der Ziegelschläger werden wir nächstens ausführlich berichten, heute wollen wir von den „Arbeiterpartien“ sprechen, die aus ledigen Männern bestehen. Solche gibt es am Wienerberg jetzt im Winter drei, jede zu 70 bis 100 Mann, welche je unter einem Parteiführer stehen. Der Arbeitslohn beträgt im Sommer 6 bis 7 Gulden wöchentlich: im Winter sinkt er bis 4 Gulden und 20 Kreuzer. Man bedenke, schwere Arbeit in freier Luft und 10 Minuten vor den Toren Wiens. Aber wenn dieser elende Hungerlohn auch nur ausbezahlt werden würde! Diese armen Teufel sehen aber monatelang kein „gutes Geld“, der dort übliche Ausdruck für das seltene Bargeld.

Sondern zwei-bis dreimal täglich erfolgt die Auszahlung in „Blech“, ohne dass auch nur gefragt wird, ob der Arbeiter es will und braucht. Noch mehr, wer kein Blech nimmt, wird sofort entlassen. Dieses Blech wird nur in den einzelnen Partien zugewiesenen Kantinen angenommen, so dass der Arbeiter nicht nur aus dem Werk nicht herauskann, weil er kein „gutes Geld“ hat, sondern auch innerhalb des Werkes ist jeder einem besonderen Kantinenwirt als Bewucherungsobjekt zugewiesen. Die Preise in diesen Kantinen sind bedeutend höher als in dem Orte Inzersdorf. Ein Brot, das in Inzersdorf 4 Kreuzer kostet, muss der Ziegelarbeiter mit 5 Kreuzer Blech bezahlen. Ebenso sind Bier, Schnaps, Speck, Wurst und Zigarren in der Kantine entsprechend teurer, die Qualität der Nahrung ist natürlich die denkbar elendste. Im Gefühl seiner Macht sagte ein Wirt einem Arbeiter, der sich beklagte: „Und wenn ich in die Schüssel sch…, müsst ihr’s auch fressen.“ Und der Mann hat recht, sie müssen.

Aber nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch die elenden Armseligkeiten, die sich der Ziegelarbeiter von seinem blutigen Kreuzer kaufen kann, alles erhält er gegen Blech. Der Partieführer selbst verkauft ihm Fußsocken, Fausthandschuhe, Holzschuhe, Schürzen, ja selbst alte Hosen und Stiefel (welche freilich nur sehr wenige sich kaufen können), alles um mindestens ein Drittel teurer als der Krämer im Orte. Aber in den Ort hinausgehen, um einzukaufen, darf der Arbeiter nicht. Er kann ohnehin selten, weil er kein „gutes Geld“ hat, und verschaffte er es sich es zufällig, so darf er es nicht hinaustragen, der Kantineur zählt seine Leute und hält streng Ordnung, auf seinem Tisch liegt der Ochsenziemer auf und wird gar häufig angewendet. „“Wollt ihr euch antrinken, so tut es hier“, heißt es. Wer auswärts einkauft, wird sofort entlassen. Bei dieser Blechwirtschaft weiß natürlich kein Arbeiter, wie eigentlich seine Rechnung beim Partieführer steht; er erfährt nur, dass er immer noch „Rest“, das heißt schuldig ist, so dass er sich aus den Klauen der Wucherer nie frei machen kann. Kaufen also können und dürfen die Arbeiter nicht auswärts. Aber zu betteln ist ihnen erlaubt. Da laufen sie zur Konservenfabrik in Inzersdorf, welche gegen Abend von den armen Teufeln umlagert ist, und wo sie um „Gollaschsaft“, eine unappetitliche Brühe, bitten gehen. Und kann sich einer freimachen, so läuft er anderthalb Stunden weit nach Neudorf zum Scharfrichter von Wien, Herrn Seyfried, der wie wir hören, täglich 80 Portionen Suppe und Gemüse, nebst einige Brocken Fleisch austeilt. Beim Henker ist mehr Mitleid als bei der Aktiengesellschaft und den von ihr besoldeten Antreibern. Die Partieführer würden aber ihre Sklaven nicht ganz in der Hand haben, wenn diese abends auswärts schlafen gingen. Darum müssen die Arbeiter im Werke schlafen. Für die Ziegelschläger gibt es elende „Arbeiterhäuser“. In jedem einzelnen Raum, sogenanntem „Zimmer“ dieser Hütten, schlafen je drei, vier bis zehn Familien, Männer, Weiber, Kinder, alle durcheinander, untereinander, übereinander. Für diese Schlafhöhlen scheint die Gesellschaft sich noch „Wohnungsmiete“ zahlen zu lassen, denn der Bericht des Gewerbeinspektors meldet 1884 von einem Mietzinses von 56 bis 96 Gulden, der auf dem Wienerberg vorkommt. Aber die verheirateten Ziegelschläger und Handwerker sind noch die Aristokraten unter den Arbeitern! Nicht so glänzende geht es den ledigen Arbeitern, den Brennern, Heizern, Einscheibern, Ausscheibern, den Partiearbeitern. Auch diese müssen auf dem Werke wohnen. Die Gesellschaft stellt ihnen Wohnungen zur Verfügung; sie hat die Wohnungsfrage wunderbar gelöst. Seit einiger Zeit „wohnen“ die Ledigen in eigenen Schlafräumen. Ein nicht mehr benützter Ringofen, eine alte Baracke, wird dazu benützt. Da liegen denn in einem einzigen Raum 40, 50 bis 70 Personen. Holzpritschen, elendes altes Stroh, darauf liegen sie Körper an Körper hingeschlichtet. In einem solchen Raum, der etwa 10 m lang, 8 m breit und höchstens 2,2 m hoch ist, liegen über 40 Personen, für deren jede also kaum 43 Kubikmeter Luft bleiben, wo 15 Kubikmeter ein bei der schlechten Lüftung des Raumes kaum genügendes Minimum wäre. Aber freilich, dann dürften in dieser Schlafhöhle nur zehn Personen schlafen; und das kann die arme Wienerberger Gesellschaft nicht leisten. –Da liegen sie denn, diese armen Menschen, ohne Betttuch, ohne Decke. Alte Fetzen bilden die Unterlage, ihre schmutzigen Kleider dienen zum Zudecken. Manche ziehen ihr einziges Hemd aus, um es zu schonen und liegen nackt da. Dass Wanzen und Läuse die steten Bettbegleiter sind, ist natürlich. Von Waschen, von Reinigen der Kleider kann ja keine Rede sein. Aber noch mehr. In einem dieser Schlafsäle, wo 50 Menschen schlafen, liegt in einer Ecke ein Ehepaar. Die Frau hat vor zwei Wochen in demselben Raum, in Gegenwart der 50 halbnackten, schmutzigen Männer, in diesem stinkenden Dunst entbunden! Sprechen wir nicht von Schamhaftigkeit, sie ist ein Luxus, den sich nur Besitzende leisten können. Das Leben der Mutter ist durch eine Geburt unter solchen Umständen bedroht. Aber was liegt an einem armen Weibe! Diese Schlafsäle sind eine neue Errungenschaft. Bis vor kurzer Zeit schliefen alle ledigen Arbeiter, und heute schläft noch eine Männerpartie am Wienerberg, der größte Teil al Laaer berg und auf den anderen Werken – in und auf dem Ringofen. Schlafen sie da im Heizraum, so haben sie eine unerträgliche Hitze auszustehen; schlafen sie oben, so überweht sie oben die kalte Nachtluft, unten werden sie halb gebraten von den heißen Abzügen des Feuers. Von Auskleiden ist natürlich keine Rede. Unter dem Kopf einen Haufen Kohlen, decken sie sich mit dem schmutzigen Rock notdürftig zu. Wer sich Bretter oder Ziegel als Kopfpolster nimmt, ist in Gefahr, geprügelt zu werden, wenn er erwischt wird. Die Sträflinge in Sibirien sind besser versorgt als diese Leute, die das Verbrechen begehen, die fetten Dividenden für die Aktionäre der Gesellschaft zu erzeugen.

Diese Schlafstätten, so schändlich und schändend sie sind, sie sind noch ein vielbeneideter Ort für die armen Obdachlosen. Ein Schandmal unserer Zeit ist es, das wahre Kainszeichen der brüdermordenden Gesellschaft, dass es Menschen gibt, für die die Ringöfen am Wienerberg ein Zufluchtsort sind, aus dem sie gewaltsam vertrieben werden müssen. Da kommt die Streifung! Gendarmen, die Partieführer, Wächter mit Stöcken und Hunden kommen „revidieren“. Wehe dem Unglücklichen, der dies Obdach benützt hat, ohne durch Frondienst für die Gesellschaft dafür bezahlt zu haben. Dreimal wehe dem Arbeiter, der entlassen wurde und sich noch dort findet. Unter grausamen Prügeln, Peitschenhieben und Beschimpfungen werden sie hinausgetrieben. Nun könnte man fragen: Warum wohnen die Arbeiter nicht in den umliegenden Orten? Erstens bekommen sie für ihr „Blech“ keinen Unterstand. Dann aber, das ist das Wichtigste, führen die Wirte und Partieführer strenge Kontrolle. Wer auswärts wohnt, wird entlassen. Der Wirt zählt die Häupter seiner Lieben. Wer fehlt, kann darauf rechnen, dass seine Zeit abgelaufen ist. Man sagt, dass die Partieführer von den Wirten 10 bis 15 Prozent des Gewinns erhalten, dass sogar die Werksleiter freien Trunk bei ihnen haben. Wie dem auch sei, jedenfalls ist die Wienerberger Ziegelfabrikgesellschaft selbst Mitschuldige und Veranlasserin dieser Verbrechen an ihren Lohnknechten. Sie bezieht von den Wirten einen ganz enormen Pachtzins, sie muss als ganz genau wissen, dass und wie er gewonnen wird. Sie teilt den Raub mit den Wirten. Die Ziegelarbeiter der Wienerberger Gesellschaft werden doppelt ausgebeutet. Als Produzenten durch die erbärmliche Niedrigkeit des Lohnes; als Konsumenten durch die Wohnungsbeistellung und durch das Blechwesen. Die erste Art der Ausbeutung ist ganz gesetzlich. Unsere Gesetze sind eben so. Die zweite Art der Ausbeutung aber ist nicht nur unmenschlich, sondern vom Gesetz verboten. Es ist ein Verbrechen, nicht nur vom Standpunkt des Menschen, sondern auch vom Standpunkt des Gesetzes, dass sich der Fabrikant von den sauer erworbenen Hungerlohn des Arbeiters einen Teil durch Truck- oder Blechsystem zurückstiehlt. Und diese Verbrechen wird begangen vor den Toren Wiens, unter den Augen der Gewerbebehörden und der Gewerbeinspektoren. Wenn das Inspektorat zu schwach ist, um gegen die mächtige Gesellschaft aufzukommen, wir werden seine Bemühungen unterstützen.

Wir werden nicht ruhen, bis diese Schandwirtschaft aufgehört hat. Aber Behörden und Öffentlichkeit können nicht alles machen. Die Hauptsache ist die Tätigkeit der Arbeiter selbst. Sie müssen sich endlich aufraffen und ruhig, aber energisch erklären, dass sie sich diese Beraubung nicht mehr gefallen lassen werden.

Streik der Ziegelarbeiter

Adlers Bericht war zwar ausschlaggebend für die Gründung der Sozialistischen Partei änderte aber immer noch nichts an den Lebensumständen der Ziegelarbeiter. In der Arbeiterschaft musste sich erst so etwas wie ein Klassenbewusstsein und Bereitschaft zur Solidarität ausbilden. Es dauerte weitere sieben Jahre, in denen sich die Situation der Ziegelarbeiter weiter verschlechterte, aber gleichzeitig sich die Arbeiterschaft gewerkschaftlich formierte. Ein kollektives Selbstbewusstsein der Arbeiter entstand.

Im April 1895 kam es zu einem Streik in allen Ziegelwerken.

Darstellung des Streiks im „Kikeriki“

Victor Adler und andere Politiker unterstützten die Streikenden mit Erfolg. Es ergab sich eine Zweckgemeinschaft zwischen Politik und zukünftigem Wahlvolk. Die tschechischen Ziegelarbeiter waren bei den Gewerkschaftsgründungen wesentlich beteiligt.

Das für die Arbeiter erfreuliche Ergebnis war:

  • Abschaffung des Trucksystems
  • Faire Löhne
  • Arbeitsfreier Sonntag
  • Arbeitsfreier Erster Mai

Eine Schilderung eines Marsches der Inzersdorfer Ziegelarbeiter am 1. Mai 1895 zum Laaer Wald findet man im Abschnitt Böhmischer Prater.

Was für die Bürger das Jahr 1848 war, war für die Arbeiterschaft von Wien das Jahr 1895.

Der letzte Schritt, die Eingliederung der Wiener Tschechen in die österreichische Sozialdemokratie, ist ihm aber nicht gelungen. Als Grund werden die zu großen Forderungen der Tschechen angeführt, doch dürfte das wachsende Nationalbewusstsein der Tschechen und der damit verbundene Drang zur Unabhängigkeit ein wichtiger Aspekt gewesen sein.

Wieviel Tscheche war Victor Adler?

Die Familie von Victor Adler stammte aus einem mährischen Dorf Lipník. Kurz vor seiner Geburt übersiedelten die Familie nach Prag und nach drei Jahren nach Wien in die Leopoldstadt. Im YouTube-Video über Victor Adler werden die besseren wirtschaftlichen Möglichkeiten der Großstadt angegeben.

Da das Gebiet der heutigen Tschechoslowakei damals zweisprachig war, kann man allein aus dieser Herkunft nicht eindeutig auf die Umgangssprache der Familie schließen. Die Übersiedlung nach Wien spricht eher dafür, dass man die Kinder in deutscher Umgebung sozialisieren wollte.

Außer der Herkunft verläuft der weitere Lebensweg zuerst in deutsch-sprechender Gesellschaft, beginnend als Schüler im Schottengymnasium. Biografie von Victor Adler im Austria Forum Tschechische Schulen gab es damals noch nicht, der Schulverein Komensky wurde erst 1872 gegründet.

Die anfängliche Sympathie für die Deutschnationalen unter Schönerer spricht auch für eine deutsche Sozialisierung. Mit dem zunehmenden Antisemitismus in der Schönerer-Bewegung, wandte sich Victor Adler von den Deutschnationalen ab.

Später wurden aber die Wiener Tschechen zu einem wichtigen Teil seiner Wählerschaft. Es wäre interessant zu wissen, ob er bei seinen zahlreichen Kontakten diese in Tschechisch angesprochen hat. Wäre das der Fall, dann hätten ihn die Ziegelböhm als einen von ihnen gesehen. Wenn aber nicht, dann hätte es trotz aller ideologischen Nähe ein nationalistisches Misstrauen gegeben.

Für eine „Tschechophilie“ spricht, dass er möglicherweise durch seine tschechischen Wurzeln eine besondere Empathie für die leidende Arbeiterschaft entwickelt hat. Dagegen spricht, dass es ihm nicht gelungen ist, die tschechische Arbeiterschaft als Fraktion in der SDAP zu integrieren.

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