Ziegelböhm


Ein großer Teil der Wiener Ziegelarbeiter kam aus Böhmen und Mähren. Man nannte sie Ziegelböhm.

Arbeitgeber

Ziegelbarone

Alois Miesbach (1791-1857)

Alois Miesbach war Soldat bei Wagram und Znaim, nach den Napoleonischen Kriegen wurde er Bautechniker und entwickelte bei eine Reise nach Italien Interesse an Ziegeln. Er pachtete 1818 zwei Zigeleien und entwickelte seinen Betrieb zum größten Ziegelwerk der Monarchie. Sein größter Auftrag war der Bau des Arsenals.

1819 Pacht des Fortificationsziegelofens am Wienerberg und Kauf der Ziegelei Meidling
1819 1 Million Ziegel pro Jahr
1826 Erwerb der Gutsherrschaft Inzersdorf
1829 Heinrich Drasche, Neffe von Alois Miesbach wird Geschäftsführer
1830 Alleineigentümer der Ziegeleien am Wienerberg
1830 117 Millionen Ziegel pro Jahr, 5.000 Beschäftigte, 30 Kohlenbergwerke
1830 größter Ziegelproduzent der Monarchie
1845 Große goldene Medaille (Industrieausstellung Wien)
1846 Große goldene Medaille (Industrieausstellung Pest)
1846 Erwerb der Ziegelei Biedermannsdorf
1847 Erwerb der Ziegelei Vösendorf
1847 Pacht des Wiener Neustädter Kanals
1850 2.900 Beschäftigte, 42 Öfen, 65 Mio Ziegel/Jahr; (= 45 Arbeiter pMZ), 30 Bergwerke, 15 km Trockenschuppen, 300 Pferde
1850 Erwerb der Ziegelei Leopoldsdorf
1850 Erwerb der vereinigten Fabriken am Laaerberg
1850 Große goldene Medaille (Weltausstellung London)
1952 Erwerb der Ziegelei Guntramsdorf
1853 Große silberne Medaille (Amsterdam)
1854 Große Medaille (München)
1855 Große Medaille (Paris)
1855 4.700 Beschäftigte, 50 Kohlebergwerke mit 2300 Bergleuten.

Schachtöfen aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts
Transport über Wiener Neustädter Kanal
Geschichte über Alois Misbach

Ein bekannter Ingenieur hatte ihm das Modell einer Maschine vorgelegt, durch die täglich 30 bis 40 Arbeiter erspart worden wären. Miesbach ließ die Maschine bauen, aufstellen, versammelte seine Arbeiter, ließ das Werk in Gang setzen und der Erfolg übertraf die Erwartungen. Miesbach ließ hierauf die Maschine in Gegenwart seiner bestürzten Arbeiter wieder zerlegen und sagte zu ihnen: „durch die Maschine Euerer Hände bin ich reich geworden, bei dieser Maschine will ich auch bleiben“.

Heinrich Drasche (1811-1880)

Heinrich Drasche war der Neffe von Alois Miesbach. In den Jahren der Übernahme der Fabriken wurde von herkömmlichen Schachtöfen auf den Ringofen umgestellt. Er entwickelte das Unternehmen zur größten Ziegelfabrik der Welt. 1869 brachte er das Unternehmen als „Wienerberger AG“ an die Börse.

1862 130.000.000 Ziegel
1862 Große goldene Medaille (Weltausstellung London)
1864 Einsatz der Hertel‘schen Ziegelpresse
1864 250 Ziegelöfen herkömmlicher Bauart (80.000-120.000 Ziegel)
1865 Einsatz der ersten Ringöfen
1866 Erwerb der Ziegelei in Hernals
1867 Verdoppelung der Ziegelproduktion
1867 Große goldene Medaille (Weltausstellung Paris)
1867 größter Ziegelproduzent der Welt
1868 Erwerb der Ziegelei am Laaerwald

Funktionsweise eines Ringofens
Ziegelei Heiligenstadt
Abbauwand, Ringofen, Trockenhütten
heute Stadion Hohe Warte
Standorte

Wienerberg · Vösendorf · Leopoldsdorf · Laaerwald · Laaerberg I · Laaerberg II · Guntramsdorf · Hernals

Ziegeleien im Süden Wiens
Wienerberg, Laaerwald, Laaerberg, Leopoldsdorf, Hennersdorf, Vösendorf, Guntramsdorf
Geschichten über die Drasches

Die beiden Schlösser, die die Familie in Inzersdorf bewohnte, wurden im Krieg zerstört. Die Nachfahren von Heinrich Drasche leben heute im Schloss Ebreichsdorf.

Am Friedhof Inzersdorf gibt an der westlichen Außenmauer das Drasche-Mausoleum, das bis heute als Grabstätte der Familie genutzt wird. Links von dem Bauwerk sieht man zwei Kreuze in der Wiese. Sie markieren die Grabstätten zweier Arbeiter, die sich kein eigenes Grab leisten konnten und denen von der Familie Drasche dieser Platz geschenkt wurde.

Den Ziegelbaronen ist gemeinsam, dass sie in der Öffentlichkeit gerne als Gönner gesehen wurden. Daher auch die Sozialeinrichtungen, die auch den Gemeinden zugutegekommen sind. Davon profitierten auch die Ziegelarbeiter.

Wienerberger AG

Heinrich Drasche brachte sein Imperium 1869 als Wienerberger AG an die Wiener Börse

1869 Börsegang, Kapital 7 Millionen Gulden = 100 Millionen Euro, 7.000 Beschäftigte
1870 Jahresproduktion 150.000.000 Ziegel, 8.500 Arbeiter (=56 Arbeiter pMZ)

  • Fabrikationsfläche 882 Joch 65 Quadratklafter = 5.000.000 m² = 5 km² (halbe Fläche des Gemeindegebiets von Vösendorf)
  • Verbaute Anzahl von Ziegel in Wien 1873: 26 Milliarden Stück Ziegel
  • Die in den Lagerstätten vermuteten Vorkommen betrugen noch etwa 20 Milliarden Stück
  • Länge der Trockenhütten: 20581 Currentklafter = 40 km!
  • 1000 Schlagplätze
  • 6 Dampfmaschinen mit 147 PS und 10 Kessel
  • 33 Ringöfen
  • 200 Millionen Ziegel pro Jahr 1 Million Zentner Kohle pro Jahr

Mit dem Börsegang von 1869 änderte sich die ohnehin schlechte Lage der Ziegelarbeiter. Einerseits wurde eine hohe Dividende an die Aktionäre ausbezahlt (1887 waren es 12%), anderseits wurden immer mehr Arbeiter in denselben Räumen einquartiert. Wie sich dieser Zustand durch die Sozialdemokratie verbessert wurde, wird auf der Seite Sozialdemokratie beschrieben.

Ziegelwerk Laaerwald.
rechts: Ringofen, mitte: Trockenhütten, dahinter Wohnhäuser, im Vordergrund Abbaugrube, heute Butterteich im Laaerwald.

Arbeitnehmer

Die Arbeit am Bau und in der Ziegelei war saisonal.

Ziegelarbeiter verbdingen den Winter in ihren Heimatgemeinden

Wien war ein Durchhaus. Die Saisonarbeiter kamen nicht, um zu bleiben, sondern um sich etwas Geld zu verdienen, das sie auf ihren heimatlichen Höfen brauchen konnten. Sie waren in Wien nicht sesshaft, und es kamen auch immer andere. Der größte Teil der Ziegelarbeiter und praktisch alle Bauarbeiter verschwanden im November aus der Stadt und kamen im März wieder. Und es kamen nicht unbedingt dieselben, daher sprechen die Historiker auch gerne vom „Hotel Wien“, das immer gut besetzt war, aber immer von anderen Leuten. (Monika Glettler)

Aber es gab auch Familien, die ganzjährig in den Ziegeleien wohnten. Man erzählt von Kindern, die nichts anderes als eben die Ziegelei kannten.

Die Ziegelfabriken waren abgeschlossene Welten. Es gab praktisch kein Leben außerhalb der Fabrik. Geburt, Kindergarten, Schule, Krankenhaus und Tod, alles wurde durch den Betrieb organisiert. Im Jahr 1872 wurden allein in der Fabrik am Wienerberg 236 Kinder geboren.

  • Saisonarbeit von März bis November
  • Überwiegend Böhmen und Mährer
  • Keine Heimschläfer, wer auswärts schlief wurde entlassen
  • Wer auswärts einkaufte, wurde entlassen
  • Unterbringung: in einem Raum 3-10 Familien (40-70 Personen)
  • Bezahlt wurde mit Wertmarken („Blechgeld“ statt „gutes Geld“)

Arbeiten

  • Lehmscheiber, meist Männer, bringen den Lehm in Scheibtruhen zu den Schlagtischen
  • Sandler streut Sand in die Model, damit der Lehm nicht kleben bleibt
  • Ziegelschläger meist Frauen
  • Aufreiber: Die feuchten Ziegel werden in den Trockenhütten (meist von Kindern) aufgereiht.
  • Einscheiber bringt die Ziegel von den Trockenhütten zum Ofen
  • Setzer nehmen die Ziegel in Empfang und schlichten die Ziegel in den Ofen
  • Brenner kümmert sich um die Steuerung der Feuerung
  • Kohlenzuführer bringt die Kohle
  • Ausscheiber holt die Ziegel aus dem Ofen
  • Laderin bringt die Ziegel auf den Frachtwagen

Am Tretplatz, der „Gstättn“, wurde der Lehm für das Ziegelschlagen vorbereitet. Bloßfüßig wurde das Material so lange gestampft, bis eine knoten- und steinfreie Lehmmasse entstand.

„Lehmscheiber“ mussten für 1.000 Ziegel etwa 32 Scheibtruhen-Ladungen Lehm transportieren. Manche Zieglerfamilie spannte einen „Lehmscheiberhund“ vor die Scheibtruhe, aber nicht jede konnte sich ein solches Tier leisten.

Ringöfen waren ein Notquartier für Obdachlose, die „Ringspatzen“ genannt wurden, weil sie im Winter entlang und auf den Gebäuden schliefen.

Max Winter über die Obdachlosen in den Ringöfen der Ziegeleien: »In Fetzen gekleidet, bloßfüßig die einen, angetan mit zerrissenem Schuhwerk die anderen. Alle unbedeckt, höchstens dass sie den regennassen Rock über ihre Schultern gebreitet haben, zwei Ziegelsteine und darauf der Hut als Kopfkissen, dem mit Ziegelstückchen und Mist besäten Boden als Unterbett. Hier einer, um den Läusen zu entrinnen, splitternackt am Oberkörper, dort einer, der sich einen der Schiebkarren als Liegestatt erobert hat.« (Aus Brigitte Hamann, Hitlers Wien, Kap.5)

Lehmscheiber und Ziegelschlägerin
Ziegelarbeiter-Familie

Gesundheit

1872 gab es 8500 Beschäftigte, 3906 von ihnen wurden im betriebseigenen Krankenhaus behandelt, es starben 361 (in diesem einen Jahr!), d.h. von 10.000 Menschen starben 450!

Von 1627 behandelten Kindern sind 253 verstorben.

Trucksystem

Wertmarken statt Geld. Arbeiter werden damit gezwungen, Waren in den Werkskantinen einzukaufen. meist zu überhöhten Preisen. Wer auswärts kauft. wird entlassen.

Wertmarken aus Berndorf
Inserat für die Wertmarken

Arbeiterwohnhäuser

Die Arbeiterwohnhäuser befanden sich unmittelbar auf dem Fabriksgelände.

Typisches Arbeiterwohnhaus